Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich einen ganzen Text auf Deutsch schreibe. Vielleicht hat mich die Überzeugung gehindert, dass ich es nicht mehr kann. Welches, natürlich, mir grosses Leiden bringt.
Heute aber werde ich meine zweite Sprache verwenden. Und es ist mir egal, ob ich Fehler mache oder nicht. Es ist MEINE Sprache. Die Sprache, mit der ich aufgewachsen - eher erwachsen geworden - bin.
Ich habe entschieden, über meine zweisprachige und bikulturelle Jugend und Kindheit zu sprechen, weil ich in den letzten Zeiten besonders stark eine Nostalgie, eine Schwermut, eine «Saudade» fühle, und mich selbst öfters frage, ob es ein Traum war oder nicht.
Konnten wirklich Menschen zusammengehören, indem sie zusammenwuchsen? Konnten wir unsere Unterschiede gegenseitig verzeihen, und miteinander lernen und uns menschlich bereichern?
Ich bin mir bewusst, dass die Fragen unverständlich scheinen können. Nur jemand, der selbst erlebt hat, wie zwei Nationen ihre Freundschaft besichern können, indem sie ihre Kinder zusammenwachsen lassen.
Kein Mensch versteht, wieso meine Jugend an meiner Schule soviel für mich bedeutet. Vielleicht - und wahrscheinlich - wissen sie nicht, dass eine einfache Schule zu einem kleinen «Kosmopolis» und zu einer Lerngemeinschaft werden kann. Zu einem Erdpol von internationalem Frieden durch Erziehung und Lachen.
Vielleicht deswegen waren wir fähig, die Idee von einer europäischen Union besser zu verstehen. Weil wir verstanden UND GEPRÜFT haben, dass verschiedene Völker doch gemeinsame Werte und Glauben und Interessen haben; und dass jeder, in seiner Seele, ein Weltbürger oder eher Europabürger sein kann, ohne seine Wurzeln zu verneinen und verlassen.
Es waren wir, lissaboner Portugiesen, die unseren deutschen Lerngemeinschaftskammeraden beigebracht haben, auf Deutschland, auf ihre Kultur und Geschichte stolz zu sein. Weil sie, wie wir, Gründe dafür haben. Und sie haben auch die Schönheit unseres Landes und der Geschichte unseres Volkes geliebt. Und freuten sich, dass wir sie ihnen mitgeteilt haben. Sowie wir uns gefreut haben, ihre Kultur zu lieben und zu verstehen.
So lasen wir Lessing und Goethe; und haben sie Fado "sehnsüchtig" zugehört und unsere Dichter gelesen.
So sangen wir «Einigkeit und Recht und Freiheit», am Anfang lauter als sie, und sie haben damit gelernt, dass es ein schönes und bedeutsames Lied ist, und dass wir sie nicht für ihre Vergangenheit beschuldigen, so sollen sie auch nicht - und so haben sie gelernt, ihr eigenes «Einigkeit und Recht und Freiheit» so laut und gerührt wie wir zu singen, weil sie (Welt-)Europabürger eines neuen Deutschlands sind - das tatsächlich und unfragbar ein Vorbild von Recht und Freiheit für alle Länder ist.
So haben sie gelernt, dass Portugal (laut die 2., allgemein unbekannte Strophe unserer Nationalhymne) "deu novos mundos ao mundo", der Welt neue Welter gab oder zeigte, und unsere Seefahrer geschafft haben, dass der See die Welt nicht mehr trennte, sondern verband (F. Pessoa); und wir haben gelernt, wie ein Land, der den unmenschlichsten Totalitarismus und Rassismus und imperialistischen Faszismus erlebt hat, sich innerhalb einer Generation neuerfunden hat - welches WIR nicht erreicht haben.
Wir haben miteinander beidseitig gelernt und uns gegenseitig gelehrt. Unsere Unterschiede haben uns damit nicht getrennt...sondern verbunden. Wir haben auf einer anderen Seite verstanden, dass unsere Gemeinsamkeiten grösser sind, als wir denken.
Wir waren, in einem Wort: Der Beweis. Dass Europa eines Tages zu dem Zustand kommen wird, in dem wir unsere Gemeinsamkeiten UND Unterschiede als gemeinsames Eigentum betrachten werden. Und dass wir doch «Brüderlich in Herz und Hand» leben können. Wie wir, eure Kinder, damals.